Jetzt wird es ernst: Erste DiGAs stehen in den Startlöchern
Krankenkassen und Hersteller haben nach eigenen Angaben die "bestmögliche Lösung" entwickelt, wie digitale Anwendungen (Web-Apps und native Apps) zukünftig auf Rezept verordnet werden können: Darin waren sich die Veranstalter der DiGA-Sprechstunde vom hih zum Thema Verordnung und Nutzung von DiGAs am 16. Juli einig (1). Erfolgsrezept sei demnach die Beteiligung aller Stakeholder an der Entwicklung der neuen Prozesse: Zahnärzte, Ärzte, Psychotherapeuten, Patienten, App-Hersteller und die Store-Betreiber wurden gehört, befragt, und eingebunden, für die Psychotherapeuten wird noch nach einer Lösung gesucht, damit auch sie eine Verordnung praktisch durchführen können.
Verordnungsprozess: Ohne Kosten, ohne Zeitverzögerung
Wie der Name "Fast-Track" schon impliziert, geht es bei der Verordnung neuer digitaler Therapien auch um Geschwindigkeit. Digitale Lösungen sollen "schnell" in die Versorgung zum Patienten kommen, und dort Nutzen schaffen. Damit das funktionieren kann, hat man sich bemüht, einen Verordnungsprozess zu entwickeln mit minimalen Nutzungsvoraussetzungen. Es sollen möglichst keine Kosten entstehen für eine zusätzliche Infrastruktur, der Aufwand für Patient und Therapeut soll minimal gehalten werden, die Verordnung von Folgerezepten soll unterbrechungsfrei laufen und natürlich für alle das sog. "Sachleistungsprinzip" gelten, d. h. Patienten sollen nicht in Vorleistungen gehen müssen beim Download einer kostenpflichtigen App. Und ein wesentliche Voraussetzung, damit das alles gelingen kann, sei die Nutzung des Muster 16. DiGAs werden auf diesem Rezeptformular zukünftig verordnet. Auf Papier ausgestellt und Patienten ausgehändigt - das klingt wie ein Medienbruch... nein, es ist ein Medienbruch - ein gewollter.
Muster 16 - die initiale Konstante für die App auf Rezept
Denn eine Stückchen gelernter Versorgungsalltag bleibt damit konstant, in einem Prozess, der sonst komplett neu ist und viele Fragen aufwirft: Welche App für welchen Patienten? Wie lässt sich die App von Patienten und Arzt als gemeinsame Therapieunterstützung nutzen, wer macht was? Da tut es allen Beteiligten vielleicht ganz gut, wenn eine Konstante bleibt: Das Rezeptformular. Der Prozess nutzt die bestehende Infrastrukturen, es gibt ein Rezept, eine PZN-Nr. für jede DiGA - abhängig von den Indikationen und der Nutzungsdauer können es auch mehrere PZNs pro DiGA sein. Die App ist gelistet in den bekannten Datenbanken - ABDATA. Der Hersteller beantragt die PZN bei der IFA (2) und der Arzt kann über sein Praxisverwaltungssystem die DiGA wie ein Arzneimittel verordnen. Im Krankenhaus läuft der Prozess über die etablierten KIS-Systeme. Der Hersteller beantragt eine IK-Nummer - ein sog. Institutionskennzeichen, damit er mit den Kassen abrechnen kann. Die technischen Prozesse scheinen definiert.
Ob ein Papierrezept per se allerdings den "nicht digital-affinen Patienten" helfen wird, die Hürden in der Nutzung einer DiGA abzubauen, darf bezweifelt werden. Welche Arzt wird einer Patientin, die nicht digital-affin scheint, eine App empfehlen können oder wollen? Es sind Rückfragen zu befürchten, die Ärzteschaft hat klar betont (3), dass sie für technischen Support im Zusammenhang mit der Nutzung einer App nicht zur Verfügung steht. Ärzte wollen Arzt bleiben - auch wenn sie DiGAs verordnen. Entsteht Aufwand in Form einer neuen, ärztlichen Tätigkeit in der Nutzung einer DiGA, so muss dieser Aufwand definiert und dann auch erstattet werden. Der Technische Support ist Sache der Hersteller.
DiGA-Verordnung: Schnell & datensparsam - ohne neue Intermediäre
Bei der Verifizierung dieses Rechtsanspruchs durch die Krankenkassen, der Generierung des 16-stelligen "Rezept-Codes" und der Belieferung der DiGA durch die Hersteller, bleiben die Akteure unter sich. Es gibt keine neuen Intermediäre, und das ist gut so. Außerdem soll es schnell gehen mit der Prüfung, noch nicht in Echtzeit (!) und abends und am Wochenende vermutlich etwas länger, als im sog. Normalbetrieb. Das könnte eine Hürde sein, weil der Verordnungsprozess damit abbrechen könnte, wenn der Patient z. B. nicht mehr daran denkt, dass er ein Rezept eingelöst hat. Vielleicht haben sich die Kassen deshalb bereit erklärt, eine Erinnerung abzusetzen, wenn der generierte Rezept-Code vom Versicherten nicht eingelöst wurde. Und den DiGA-Herstellern ist es aus diesem Grund auch freigestellt, die App auch ohne Rezept-Code für eine Übergangszeit freizuschalten, und den Rezept-Code erst zu fordern, wenn der Patient die App bereits nutzt - allerdings liegt das Ausfallrisiko beim Hersteller.
DiGA-Preisbildung - Verhandlungssache
Im Prozess wurde Wert gelegt auf Datensparsamkeit. Die Authentifizierung des Versicherten läuft bei Kassen und Hersteller mit Pseudonym. Und sobald der sog. "Rezept-Code" generiert worden ist, besteht ein Erstattungsanspruch. Dabei kommen einheitliche Standards zur Anwendung, die für alle Krankenkassen gelten. Damit der Hersteller mit den Kassen abrechnen kann, braucht er ein sog. Institutionskennzeichen IK, das beantragt werden muss (4). Wie viel für die App erstattet wird, das regelt die sog. Rahmenvereinbarung zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und den Herstellerverbänden. Und dabei gibt es nicht den ein-eindeutigen Preis, der für eine DiGA erstattet wird, sondern es wird performance-basiert vergütet, z. B. nach Erreichen bestimmter Kennzahlen bei den Nutzern der App. Welche Faktoren in der Preisfindung genau berücksichtigt werden, darüber stimmen sich die Verbände der Krankenkassen und der Hersteller ab. Anders als bei der Bewertung des Evaluationskonzeptes durch das BfArM, das den Nachweis rein ökonomischer Aspekte nicht akzeptieren wird, sondern den Beleg für einen patientenrelevanten Nutzen fordert, wird es in den Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen wohl auch um ökonomische Fragestellungen gehen. Denn wenn es sich bei DiGAs auch um extrabudgetäre Leistungen handelt, so hat das im Sozialgesetzbuch verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot auch für diese neue Leistungsklasse der DiGAs Gültigkeit.
Neuer Leistungsanspruch auf DiGAS - viele neue vertragliche Regelungen
Der neue, gesetzlich verbriefte Leistungsanspruch auf eine DiGA (§ 33a) erfordert in der Umsetzung viele neue, vertragliche Regelungen:
- Ärzte (Bundesmantelvertrag)
- Wenn ärztliche Leistungen erforderlich sind im Zusammenhang mit der Verordnung einer DiGA, dann muss diese Leistung neu beschrieben werden.
- Es muss klar definiert sein, wie der Verordnungsprozess konkret aussieht. Dazu gehört auch die Beschreibung alternativer Wege, d. h. wie Patienten, auch ohne Rezept vom Arzt, über ihre Krankenkasse eine DiGA beziehen können.
- Hersteller & Krankenkassen (Rahmenvereinbarungen)
- In den Vereinbarungen zwischen Spitzenverband der Hersteller und dem Spitzenverband der Krankenkassen wird verhandelt, wie Preise festgelegt werden, d. h. welche Kriterien bei der Preisbildung einbezogen werden, wie oft Preisverhandlungen stattfinden sollen, ob und wie DiGAs in Gruppen eingeteilt werden können, ob man Höchstpreise festlegen kann. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen liegen im besten Fall vor, noch bevor die erste DiGA gelistet ist (?).
- Die Schiedsstelle ist ein Instrumentarium der Selbstverwaltung, um zu zu klären, was bei Uneinigkeit in Sachen Preisfindung geschehen soll. Zunächst ist eine freie Preisbildung vorgesehen, nach Ablauf von 12 Monaten (Erprobungsphase) muss verhandelt sein, welche ökonomischen Preismodelle für DiGAs angesetzt werden und z. B. den Pay-for-Performance-Verträgen zugrunde liegen. Preisverhandlungen (§134) greifen dann theoretisch ab dem 13. Monat - nach Ablauf der Erprobungsphase einer DiGA. Schon heute müssen die Verbände der Hersteller mit den Verbänden der Kassen verhandeln.
- Abrechnungsrichtlinie § 302
- Diese Richtlinie ist extrem wichtig. Jeder Hersteller, der im DiGA-Verzeichnis gelistet ist, muss wissen, wie die Schnittstellen aussehen, die für die Verordnung, die Prüfung der Verordnung, die Generierung des Rezept-Codes, die Freischaltung der DiGA, und den Vergütungsprozess gebraucht werden.
DiGAs - bald Wirklichkeit im deutschen Gesundheitssystem
Dafür haben die Verhandlungspartner, die sich in dieser Konstellation erstmals begegnet sind, in den letzen Monaten sehr viel getan. DiGA-Hersteller, Krankenkassen, Ärzteschaft, Patientenvertreter haben Vereinbarungen verhandelt und damit eine gemeinsame Grundlage für den Verordnungs- und Erstattungsprozess geschaffen und dabei viel Gestaltungswille demonstriert. Man will Innovationen in die Versorgung helfen:
- DiGAs können - anders als verschreibungspflichtige Arzneimittel - ohne ärztliches Rezept von Krankenkassen genehmigt und erstattet werden.
- DiGAs werden extrabudgetär erstattet, budgetneutral für Ärzte
- DiGAs kommen schneller, im sog. Fast-Track über das BfArM in die Regelversorgung, die Nutzenbewertung über den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) wird umgangen.
- DiGAs werden in einem analogen und etablierten Prozess, der Patient und Arzt vertraut ist, auf dem Rezeptformular (Muster 16) verordnet. Aktuell können das nur die Ärzte. Für die Verordnung sog. Mental Health Apps durch Psychotherapeuten, die dieses Muster 16 nicht nutzen können, muss ein anderer Weg gefunden werden.
Verordnung: Checkliste für DiGA-Hersteller
Das BfArM bearbeitet derzeit nach eigenen Angaben 14 Anträge - 7 davon zur endgültigen Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis, 7 zur vorläufigen Aufnahme. Das DiGA-Verzeichnis soll bereits 14 Tage vor Veröffentlichung der ersten DiGA für Patienten und Ärzte frei zugänglich sein. Sie können sich dort informieren über Art und Struktur der im DiGA-Verzeichnis vorgehaltenen Informationen.
Woran müssen DiGA-Hersteller in den nächsten Wochen, vor Veröffentlichung ihrer Apps im DiGA-Verzeichnis denken?
- Registrierung/Veröffentlichung in den Stores: Native Apps
- In der Registrierung der App klarmachen, dass es sich um eine DiGA handelt, die im DiGA-Verzeichnis gelistet ist (sonst könnte Ablehnung drohen)
- Für den Review-Prozess 3 Test-Accounts mit Passwort liefern für die Reviewer. Review kann bis zu 2 Wochen dauern
- In-App-Käufe der DiGA erklären. Die DiGA umfasst nur die Kernleistungen. Zusatzleistungen kann der Versicherte - ähnlich wie eine IGeL-Leistung - auf eigene Kosten erwerben.
- Im Store nicht nur einen Sperrbildschirm anbieten, die App sollte auch ohne Code nutzbar sein. Zeigen sie im Store/Screenshots, was die DiGA kann bzw. welche Unterstützungsleistungen sie bietet, welche davon erstattbar sind und welche als Selbstzahlerleistung vom Versicherten auf eigene Rechnung hinzugekauft werden können.
- Anmeldung als Abrechnungspartner der Krankenkassen
- Bei DGUV IK-Nr. (Institutionskennzeichen) beantragen: https://www.dguv.de/arge-ik/downloads/index.jsp
- PZN-Nr. beantragen für DiGA: Indikation und Nutzungsdauer können es mehrere PZNs pro DiGA sein.
- bei IFA - PZN-Nummer https://www.ifaffm.de/de/ifa-fuer-anbieter/ifa-formulare-dateien.html
- Spezifikation für Abrechungsschnittstelle in der DiGA berücksichtigen
- Abrechnungsrichtlinie § 302 - wir Ende des Monats veröffentlicht
DVG & Fast-Track-Verfahren: Geburtshelfer der Digitalen Transformation?
Wird sich Deutschland mit diesem weltweit einzigartigen DVG-Sonderweg in Sachen Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Europa oder sogar weltweit an die Spitze setzen? Die Gesundheitskompetenz könnte den DVG-Akteuren einen Strich durch die Rechnung machen (). Denn die Erstattung von DiGAs regelt, was technisch zu regeln ist. Die Adaption neuer Therapien ist jedoch weit mehr als ein neuer, technischer Prozess, sondern ein klassischer "Change-Prozess". Der Erfolg hängt maßgeblich von der Bereitschaft der Akteure zur Verhaltensänderung ab: Sind sie bereit, Neuland zu betreten, neue Fähigkeiten zu erlernen? Wie gelingt es, Patienten und Ärzte mitzunehmen, sie in die Lage zu versetzen, die neuen Potentiale digitaler Therapien zu entfalten? Zur Unterstützung dieser Prozesse ist bisher vergleichsweise wenig getan worden.
DiGA-Adhärenz - die Herausforderung bleibt
Und wie bei allen Therapiebausteinen für Chroniker in der prädigitalen Zeit, gilt auch für DiGAs die Therapie-Adhärenz als große Herausforderung. Selbst aktiv werden, Verhalten verändern, eine DiGA zur Erreichung langfristiger Therapieziele zu nutzen, das alles braucht einen langen Atem und die richtige Einstellung, nicht nur auf Seiten der Patienten. Der erlebbare Nutzen für Patient, der die Basis ist für die Akzeptanz und damit für die Bereitschaft, zur dauerhaften und nachhaltigen App-Nutzung ist, hängt stark von der Einbeziehung der Therapeuten ab und von einer sicheren Infrastruktur zum Austausch von Daten, die mit ePA und Telematik-Infrastruktur derzeit aufgebaut wird.
Im Fast-Track Ärzte & Patienten für DiGAs begeistern
Und ob es auch im "Fast-Track" gelingen kann, Ärzte vom Nutzen der DiGAs zu überzeugen, sie als Botschafter digitaler Therapien zu gewinnen, bleibt bei aller Euphorie der DVG-Pioniere fraglich. Zu groß sind die Lücken im Wissen um DiGAs und deren Nutzung, zu weit sind DiGAs heute noch weg vom Praxisalltag der Ärzte. Technik wird immer noch als Bremse erlebt, gehen die man sich vehement zur Wehr setzen muss, um als Arzt, Arzt bleiben zu können und von digitalen Transformationsprozessen nicht überrollt zu werden.
Quellen:
- hih-2025: DiGA-Sprechstunde - Verordnung und Nutzung von DiGAs, 16. Juli 2020. Aufzeichnung
- https://www.ifaffm.de/de/ifa-fuer-anbieter/ifa-formulare-dateien.html
- Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Rechtsverordnung DiGA, Februar 2020. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/DiGAV_Stellungnahme_BAEK_final_13022020.pdf
- https://www.dguv.de/arge-ik/downloads/index.jsp
- Schäffer et al 2016. Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland.