App auf Rezept (DVG): Praktische Hürden erfolgreich meistern
Wie soll das praktisch gehen: App auf Rezept? Auf Verordnung eines Arztes oder Therapeuten können Apps unter bestimmten Voraussetzungen zukünftig von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden, wenn das Digitale Versorgungsgesetz (DVG) Anfang kommenden Jahres in Kraft treten wird (1). Wie das ganz praktisch vonstattengehen soll, ist in vielerlei Hinsicht offen. Ob der vom Gesetzgeber beabsichtigte Digitalisierungsturbo tatsächlich zünden wird, hängt u. a. auch von den Antworten ab, die wir in den nächsten Monaten finden, um die neuen gesetzlichen Handlungsspielräume pragmatisch und klug auszugestalten.
Bezug einer App: Von welcher Plattform werden sie heruntergeladen?
Wo löst der Patient sein App-Rezept ein – in der Apotheke, beim App-Store, beim Arzt, auf einer neuen Verordnungsplattform, die speziell dafür entwickelt wird? Wenn kostenpflichtige Therapie-Apps in den App-Stores von Google oder Apple zum Download stehen und dort Umsätze generieren, wird bei jedem „Verkauf“ eine Gebühr fällig - 30 Prozent vom Umsatz (2) - zu Lasten der Versicherten. Das will niemand. Also werden Therapie-Apps vermutlich dort nur kostenlos angeboten – der Store wird als Vertriebskanal genutzt – was die Storebetreiber vermutlich nicht lange dulden werden - und die kostenpflichtige Therapie-App wird an anderer Stelle bezogen.
Sachgemäße Anwendung einer App: Wer klärt auf?
Für eine Therapie-App gilt, wie für ein Arzneimittel - Wird sie falsch angewendet, kann sie nicht wirken oder im schlimmsten Fall sogar schaden. (Beispiel: Ungewollte Schwangerschaften aufgrund unsachgemäßer Nutzung einer Verhütungs-App (3). Wer im System wird künftig dafür zuständig sein, dass eine Therapie-App sachgemäß angewendet wird? Wer beantwortet die Fragen von Patienten im Zusammenhang mit der Nutzung einer App? Die Notwendigkeit ist groß, das die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügt (4) und die digitalen Kompetenzen gerade bei behandlungsbedürftigen, älteren Menschen als eingeschränkt gelten (5).
Nach Stellungnahme der Bundesärztekammer sehen sich Ärzte hier nicht in der Pflicht (6). Auch die Krankenkassen sehen diese Aufgabe nicht in ihrem Zuständigkeitsgebiet, die App-Anbieter selbst, sollen das machen (7). Ist das klug? Natürlich kennt der Anbieter sein Produkt, aber kann er fragende Patienten 1. unabhängig informieren, 2. ohne dabei Kenntnis zu bekommen von sensiblen Gesundheitsdaten, die der Patient mit der App verarbeitet? Wohl eher nicht.
Digitales Adhärenz-Management: Wer ist im Lead?
Könnten Apotheker diese neue Aufgabe übernehmen? Ihr Versorgungsauftrag erweitert sich damit von der sicheren Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln auf digitale Therapien, die sich häufig an Chroniker richten und diesen Hilfe bieten in der Umsetzung der vom Arzt verordneten Therapie. Der Apotheker kennt diese Kundenzielgruppe, ihr soziales Umfeld, ihre Möglichkeiten und Einschränkungen. Weitergedacht könnte die Beratung des Apothekers sich nicht nur auf die Aufklärung zur Nutzung einzelner Apps beziehen, sondern die Tür zu einem digitalen, umfassenden Adhärenzmanagement aufstoßen. Durch erweiterte Kompetenzen, z. B. im Bereich des datengestützten Medikationsmanagements könnte der Apotheker zukünftig sektorenübergreifend Behandlungspfade analysieren und optimieren. Der Apotheker unterliegt der Schweigepflicht, er ist als unabhängiger Berater dem Wohl des Patienten verpflichtet. Der Honorartopf für diese neue, pharmazeutischen Leistungen ist riesig, wenn er sich aus den Ressourcen speist, die im System derzeit verpfuffen: Nur die Hälfte der Arzneimittel werden wie vom Arzt verordnet eingenommen (8). Non-Adhärenz ist in der Therapie von chronischen Erkrankungen ein Riesenproblem.
Erstattungsfähige Therapie-Apps: Gibt es auch eine Verschreibungspflicht?
Kann der Patient eine App – die die Therapie oder Diagnose unterstützt – zukünftig weiter ohne ärztlich Verordnung nutzen, wenn er dafür selbst in die Tasche greift. Oder wird das Risiko einiger diese Apps als so hoch eingestuft, dass diese ohne Verordnung eines Arztes nicht genutzt werden können? Wenn das Risiko so hoch ist, wie bei einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel, dann wäre das im Sinne der Patientensicherheit ein notwendiger Schritt.
Werben für erstattungsfähige Therapie-Apps: Was ist erlaubt?
Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nach Heilmittelwerbegesetz außerhalb von medizinischen Fachkreisen nicht geworben werden (§ 10 Abs. 1 HWG). Was gilt zukünftig für Apps, die auf Rezept verordnet werden können? Wie wird verhindert, dass Anbieter digitaler Therapien durch verkaufsfördernde Maßnahmen Nutzernachfrage erzeugen, ohne dass es einen konkreten wissenschaftlich nachgewiesenen objektiven Versorgungsbedarf gibt? Brauchen wir eine Anpassung des HWG auf digitale Gesundheitsanwendungen für die Diagnose und Therapie von Erkrankungen?
Erstverordnung, Folgeverordnung, Verordnungsdauer?
Über welchen Zeitraum können Apps verordnet werden? Gibt es eine begrenzte Nutzungsdauer für die Erstverordnung, um danach einschätzen zu können, ob der Patient mit der App klarkommt und ob sie „wirkt“? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein für eine Folgeverordnung? Ist dazu eine ärztliche Überprüfung der Wirksamkeit oder der Verträglichkeit einer App beim jeweiligen Patienten erforderlich? Können Apps dauerhaft verordnet werden, Beispiel digitale Herzrhythmusdiagnostik zur Überwachung des Herzrhythmus bei Patienten mit gesicherten Herzrhythmusstörungen, oder wird eine solche App eher zeitlich begrenzt als Alternative zum Langzeit-EKG genutzt und erstattet?
Ohne tatsächliche Nutzung – keine Erstattung?
Wird eine vom Arzt verordnete App grundsätzlich nur erstattet, wenn sie genutzt wird und nur so lange, wie sie tatsächlich genutzt wird? Und können die Patienten verpflichtet werden, die erforderlichen Daten für diese Einschätzung – z. B. Tracking-Daten zum Nutzungsverhalten – auf Nachfrage der Kostenträger offenzulegen?
Die Erstattung an die tatsächliche Nutzung der App zu koppeln, könnte Anreize schaffen, dass App-Anbieter sich stark auf Anwenderfreundlichkeit und Anwendernutzen fokussieren in Indikationen, für die es einen gesicherten Bedarf für digitale Anwendungen gibt. Anderseits würde dieses Vorgehen eine Benachteiligung von Digitalen Therapie gegenüber Arzneimitteln bedeuten. Denn sie werden erstattet, unabhängig davon, ob der Patient sie tatsächlich einnimmt.
Fazit: App auf Rezept – klingt einfach, ist es aber nicht.
Die Produkte sind neu und auch die Prozesse sind neu. Sie müssen aufgesetzt, erprobt und gelernt werden – von Anwendern wie von Leistungserbringern. Um diese großen Herausforderungen konstruktiv anzugehen und die Erwartungen in die Entwicklung des Marktes realistisch einzuschätzen, brauchen wir den Gestaltungswillen aller Beteiligten, die ein gemeinsames Ziel verbindet: Die bessere Versorgung von Patienten durch sachgerechte, für Patienten sicher nutzbare digitale Therapien, dort wo sie notwendig sind und Nutzen bringen.
Veranstaltungstipp
- Live Online Seminar App auf Rezept, 28.11.2019, 11 Uhr
Quellen:
- DVG http://www.tagesschau.de/digitalisierung-gesundheitswesen-101.html
- https://www.channelpartner.de/a/app-entwickler-proben-aufstand-gegen-apple-und-google,3334354
- 37 ungewollte Schwangerschaften. Kritik an Verhütungs-App. Jan 2018. Futurezone.at https://futurezone.at/apps/37-ungewollte-schwangerschaften-kritik-an-verhuetungs-app/307.214.814
- Schaeffer D, Berens EM, Vogt D: Health Literacy in the German population – results of a representative survey. Dtsch Arztebl Int 2017; 114:53-60. DOI: 10.3238/arztebl.2017.005.
- Initiative 21. Digital Index 1/2019: https://initiatived21.de/publikationen/d21-digital-index-2018-2019/
- https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/DVG-RefE.pdf
- https://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/positionen/stellungnahmen/aok_stellungnahme_refe_dvg.pdf
- https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-472007/therapietreue-dauerhaft-verbessern/