Digitales Versorgungsgesetz DVG: Gut vorbereitet?
Jetzt ist es beschlossen, das Digitale Versorgungsgesetz DVG wurde im Kabinett verabschiedet (1). Vom Referentenentwurf - am 15.05.2019 - zum Kabinettsbeschluss, sind acht Wochen vergangen. Viele Stakeholder haben den Entwurf kommentiert, Krankenkassen (2), Leistungerbringer (3,4), Fachgesellschaften (5), Patientenverbände (6), und heraus gekommen ist ein Gesetz, das die grundsätzliche Weichenstellung für eine digitalisierte Gesundheitsversorgung skizziert.
Chapeau für die Geschwindigkeit - der Gestaltungswille ist klar erkennbar, und Chapeau auch für den Mut zu einem ersten Aufschlag, von dem alle Beteiligten wissen, dass er im Detail viele Fragen offen lässt. Es wird ganz sicher Anpassungen und Konkretisierungen geben müssen. In der Umsetzung des Gesetzes werden die Fallstricke ans Licht kommen. Trotz allem: Spahns "agiles regieren" passt in die Zeit, sofern im zweiten Schritt auch Flexibiltät und Geschwindigkeit stimmen, mit der die Stellschrauben nachjustiert werden, wenn dies geboten ist. Denn Patientensicherheit bleibt - auch im Zeitalter der Digitalisierung - nicht verhandelbar. Und deshalb werden die Regelungen zum Schutz der Nutzerdaten bei der Verwendung von Apps als gemeinsames Arbeitsmittel von Arzt und Patient in ein zweites Gesetz gepackt (7). So kann das Digitale Versorgungsgesetz in seinen Grundzügen noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Was ändert sich durch das DVG für App-Entwickler?
- Digitale Gesundheitsanwendungen, sofern sie als Medizinprodukte zertifiziert sind, werden erstattungsfähig.
- Das BfArM soll diese Produkte in einem Verzeichnis aufnehmen und auf Sicherheit und Qualität testen (8).
- Der Nutzen der digitalen Anwendungen soll nach einem Jahr vom Anbieter belegt werden. Der geforderte Evidenzgrad soll dabei bewußt niedrig gehalten werden. Bis dahin erstatten die Krankenkassen den Herstellerpreis.
Klingt pragmatisch. Wenn man sieht, wie wenige Apps als Medizinprodukte in den App-Stores für Patienten derzeit verfügbar sind (9), und wie wenig diese Apps z. B. im Vergleich zu Ernährungs-, Bewegungs-, Entspannungs-Apps nachgefragt werden, darf man zweifeln, ob damit wirklich der große Wurf gelingen kann und ob das DVG dem Potential digitaler Gesundheitsanwendungen gerecht wird.
Das DVG bleibt in der Kurationsebene stecken
Nur Menschen, die schon erkrankt sind, haben auf der Grundlage des DVG Anspruch auf eine App, die vom Arzt verordnet, therapieunterstützend angewendet und von den Krankenkassen erstattet wird. Warum nicht auch Apps auf Rezept verordnen, die Prävention in den Handlungsfeldern des SGB V § 20 sinnvoll unterstützen können? Auch sie könnten als sog. KIT-Maßnahme (KIT = Informations- und Kommunikationstechnologie-basierte Selbstlernprogramme) vom Arzt zur digitalen Prävention verordnet werden auf dem Weg in ein präventionsorientiertes Gesundheitssystem.
Die Zentrale Prüfstelle Prävention ZPP prüft aktuell auch Apps, die als KIT-Selbstlernprogramme für Verbraucher angeboten werden (10). Ein frei zugängliches Portal, das Versicherte oder Ärzte nach geprüften Präventions-Apps durchsuchen können, bietet die Zentrale Prüfstelle Prävention nicht. Man überlässt die Informationen der Versicherten über digitale Präventionsangebote den jeweiligen Krankenkassen, wie HealthOn auf Nachfrage im Juni in Erfahrung bringen konnte. Nach Marktrecherchen von HealthOn ist bisher lediglich eine - im Store Google Play verfügbare Gesundheits-App - von der ZPP geprüft, sie leitet zum Beckenboden-Training zuhause an (11).
Auch mit der Erstattungsfähigkeit von Apps bleibt der Weg in die Versorgung steinig
Ärzte werden nach Inkrafttreten des DVG nicht alle fröhlich digitale Anwendungen verschreiben. Für viele ist diese Materie absolutes Neuland. Wie sie Apps in die Versorgung integrieren, ist völlig offen. Um Apps empfehlen zu können, braucht es die Kenntnis geeigneter Apps und das Wissen über deren Möglichkeiten und Grenzen. Es muss klar sein, für welche Patienten eine App in Frage kommt und wer im Praxisteam den Patienten darauf anspricht. Auch Fragen der Datensicherheit, der Analyse der vom Patienten erhobenen Daten oder der Export von Behandlungsdaten oder Therapieanleitungen in die App müssen verstanden werden. Von der Auswahl williger und fähiger Patienten bis zur Besprechung von Daten und Einbeziehung von Daten in Therapieentscheidungen zeichnet sich ein komplexer, vollkommen neuer Prozess ab, dessen Erfolg vom Zutun vieler Beteiligter abhängig ist. Es muss "gute" Apps für die Therapiebegleitung geben und Arzt und Patient müssen diese Apps kennen und gemeinsam nutzen können und wollen. Für die Befähigung der Nutzer wird noch wenig getan. Es gibt einige Orientierunghilfen (12,13), es gibt Initiativen zur Stärkung der Digitalkompetenz von Senioren (14). Ärzte können den erforderlichen Support nicht leisten (3), Krankenkassen vermutlich auch nicht. App-Anbieter könnten - bezogen auf ihre Apps - den technischen Support leisten, das fordern die Ärzte. Ein Helpdesk oder gar Schulungs- und Fortbildungsaktivitäten kosten nicht nur Geld. Bei der Unterstützung von Patienten werden Helfer vermutlich auch Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten erhalten, die dem Arztgeheimnis unterliegen, so dass sich der Unterstützungsservice vermutlich nicht vollständig an Dritte deligieren lässt.
Das DVG ist ein wichtiger Meilenstein, der viele Fragen aufwirft.
- Für App-Anbieter: Wie wird meine App zum Medizinprodukt der Risikoklassen I und IIa. Aufwand, Marktpotential, Market Access Strategie?
- Für App-Verordner: Was können digitale Medizinprodukte überhaupt leisten, welche Patienten können davon profitieren, welche Voraussetzungen müssen sie mitbringen? Wie binde ich die digitalen Helfer sinnvoll in die Versorgung meiner Patienten ein? Mit welchen Fragen von Patienten muss ich rechnen? Der Fortbildungsbedarf ist hoch.
- Für Krankenkassen: Wie schaffen wir Transparenz für unsere Versicherten über das Angebot und die Möglichkeiten digitaler Helfer für die Therapiebegleitung und für die Primärprävention (SGB V § 20)? Wie unterstützen wir Versicherte bei der selbstbestimmten Nutzung von digitalen Helfern? Wie stärken wir ihre Digitale Gesundheitskomptenz?
- Für die Versorgungsforschung: Wie müssen Daten in Apps und Wearables erfasst werden, damit wir sie nutzen können, um Bedarf und Bedürfnisse von Anwendern zu verstehen und den wissenschaftlich belegbaren Netto-Nutzen digitaler, komplexer Interventionen zu erfassen? Wie regeln wir die Möglickeit zur Datenspende? Dazu wird in Kürze ein Memorandum vom Deutschen Netzerwerk Versorgungsforschung e. V. erscheinen.
DVG weckt Hoffnungen und ruft nach Stärkung digitaler Kompetenzen von Nutzern
Seit der Gründung der Plattform HealthOn steht die Einschätzung von Qualität und Sicherheit digitaler Gesundheitsanwendungen und die Stärkung der digitalen Kompetenzen von Nutzern im Fokus unserer Arbeit.
Unserer DigitalHealth-Expertise teilen wir:
- mit App-Anbietern, die die Qualität ihrer Angebote verbessern und sichtbar machen wollen (Qualitätspartnerschaft) und die Unterstützung brauchen auf dem Weg zur Zertifizierung ihrer Medizin-Apps als Medizinprodukte,
- mit Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, die Leistungserbringern Orientierung geben wollen über die neuen Möglichkeiten digitaler Therapiebegleiter. Wir bieten CME-zertifizierten Webinaren zu Gesundheits- und Medizin-Apps für Gesundheitsfachberufe mit unterschiedlichen Indikationsschwerpunkten (15, 16)
- mit Krankenkassen und anderen Marktakteuren, die mit Marktstudien zu „Medizinprodukte-Apps“ Zugang erhalten zum Wissen über das derzeitige Angebot, über Nachfrage, Qualität und Sicherheit, um daraus strategische Entscheidungen für die Entwicklung ihrer digitalen Leistungsportfolios abzuleiten.
Marktanalyse Medizin-Apps 07/2019: Verteilung der CE-zertifizierten Medizinprodukte nach Indikationen [%]. 1. Diabetes & Blutdruck; 2. Chronischer Schmerz; 3. Frauengesundheit; 4. Mentale Gesundheit & Stressbewältigung; 5. Andere Indikationen, z.B. MS, Tinnitus, Krebs; 6. Sonstiges, z.B. Digitale Patientenakte, Symptomchecker, Pflege-App. © HealthOn, Dr. Ursula Kramer, www.healthon.de. Screening Medizin-Apps 07/2019 in Google Play. Suchbegriff: „Medizinprodukt“. Angezeigte Suchtreffer 495 Apps. Im Screening berücksichtigt wurden alle Apps, die mit dem Suchbegriff neu gefunden wurden, sowie alle bereits auf HealthOn gelisteten CE-gekennzeichneten Medizin-Apps für Verbraucher und Patienten. Analysiert wurden ausschließlich Apps, die kostenlos (Basisversion) und deutschsprachig verfügbar sind. Bildrechte: © Designed by Macrovector/Freepik.com.
Quellen:
- http://www.tagesschau.de/digitalisierung-gesundheitswesen-101.html
- https://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/positionen/stellungnahmen/aok_stellungnahme_refe_dvg.pdf
- https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/DVG-RefE.pdf
- ttps://www.abda.de/fileadmin/assets/Stellungnahmen/2019/2019-06-07-ABDA-Stellnahme_RefE-DVG.pdf (Link nicht mehr verfügbar, geprüft 14.07.2023)
- Sellungnahme 06/2019, Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (EbM-Netzwerk) (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 17.10.2022)
- https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2019/06/190606_SN_Digitale_Versorgung-Gesetz_APS_final.pdf
- Handelsblatt: Digitalisierung im Gesundheitswesen - Gesundheitsminister Spahn plant eigenes Datenschutzgesetz (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 17.10.2022)
- https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik/article/992260/medizin-apps-spahn-sieht-aerzte-pflicht.html
- Marktanalyse Medizin-Apps 7/2019. HealthOn.
- https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de
- Pelvina. https://healthon.de/blogs/2018/12/06/tabuthema-blasenschwaeche-koennen-apps-helfen
- HealthOn: Online-Checkliste - Gute Gesundheits-Apps finden.
- https://www.aps-ev.de/checkliste/
- https://healthon.de/blogs/2018/11/02/digitaler-stammtisch-senioren-diskutieren-ueber-gesundheits-apps
- pharmacon.de/veranstaltungen/gesundheits-apps-zur-unterstuetzung-der-arzneimitteltherapie (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 06.10.2022)
- Online-Seminare Gesundheits-Apps: https://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/e-health/article/992160/digital-health-nuetzlich-sicher-health-apps.html