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Besser eingestellt dank Blutdruck-App?

Geschrieben von ursula.kramer am Dienstag, 4. Dezember 2018 - 08:53

Was ist dran an Blutdruck-Apps? Sie werden als vielversprechende, neue Werkzeuge diskutiert, um die Selbstbefähigung von Patienten zu stärken. Können sie die Versorgung von Hypertonikern tatsächlich verbessern? 
Sehr viele Bluthochdruckpatienten sind in ärztlicher Behandlung, jeder Dritte gilt als schlecht eingestellt (1). Weil mangelnde Therapieadhärenz bei vielen chronischen Erkrankungen ein zentrales Problem ist (2,3,4) und die Gesundheitskompetenz in Deutschland bei mehr als 50 Prozent der Bevölkerung als schlecht gilt (5), wächst das Interesse an digitalen Helfern für die bessere Alltagsbewältigung für Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie Bluthochdruck, Diabetes oder chronischem Schmerz.

Mit digitalem Tagebuch Blutdruck und noch viel mehr aufzeichnen….

Hypertoniker, die häufig mehrere Risikofaktoren im Auge halten müssen, profitieren von Tagebüchern, mit denen auch die Arzneimittel, sowie Gewicht und Blutzucker aufgezeichnet werden können – bei vielen Apps können Erinnerungen eingestellt werden, damit Messungen oder die Arzneimitteleinnahme nicht vergessen wird. Weil der Lebensstil, und damit Bewegung, Gewicht und Kalorienzufuhr, die Höhe des Blutdrucks beeinflussen, lassen sich mit der Mehrheit der Blutdrucktagebücher auch diese Parameter aufzeichnen. Etwa jede dritte Blutdruck-App kann Aktivitätsdaten direkt aus Fitness-Trackern oder Apps wie S-Health bzw. Google Fit übernehmen (6).

Lebensstilveränderung mit Blutdruck-Apps digital anleiten – Zukunftsmusik für Hypertoniker

Coaching im Hinblick auf Lebensstilveränderung, das bereits zum Angebot einzelner Diabetes-Apps gehört (9), findet bei Blutdruck-Apps ebenfalls noch keine Anwendung. Einen Schritt in diese Richtung geht die noch recht neue App des Berufsverbands der Niedergelassenen Kardiologen (10). Ärzte können ihren Patienten einen individuellen Trainingsplan in diese App einstellen, dessen Umsetzung dann mit Hilfe der App aufgezeichnet und ausgewertet wird. Diese App bietet auch den Visiten-Code zum Zugriff auf die Verlaufsdiagramme und Statistiken der dokumentierten Blutdruckwerte. Im Gegensatz zu den allen anderen Blutdruck-Apps, mit denen Tagebuchdaten exportiert und an den Arzt versendet werden können, ist das ein pragmatischer Weg. Denn Patientendaten, die im E-Mail Postfach der Praxis landen, werfen datenschutzrechtlich viele Fragen auf. Das bringt Ärzte auf unsicheres Terrain und hindert sie daran, die Daten aus den Apps in die Therapiesteuerung einzubeziehen.

Mit Daten der Selbstmessung aus Apps zur besseren Blutdruckeinstellung?

Und dabei könnten diese Daten gerade in der Phase der Blutdruckeinstellung sinnvoll genutzt werden. Randomisierte, klinische Studien zeigen, dass die Dosisfindung schneller und erfolgreicher verläuft, wenn der behandelnde Arzt auf die Daten aus der Selbstmessung telemedizinisch zugreifen und die Arzneimitteltherapie direkt anpassen kann (11, 12, 13). Die Deutsche Hochdruckliga fordert daher, dass die Werte aus Blutdrucktagebüchern datensicher in Praxissysteme transferiert und so zukünftig vom Arzt in der Therapieeinstellung genutzt werden können (14). Auch die Effekte von Apps auf die Therapieadhärenz von Hypertonikern wurde in kontrollierten Studien untersucht. Zwar konnte die Arzneimittel-Adhärenz verbessert werden, auf die Blutdruckeinstellung zeigten sich mit und ohne App jedoch keine signifikanten Unterschiede (15).

Gesundheits-Apps – perspektivisch die Lösung aller Adhärenzprobleme?

Komplexe Verhaltensmuster, die Eigenmotivation und Therapieadhärenz bestimmen, lassen sich nicht einfach dadurch verändern, dass Menschen mit Apps an die Medikamenteneinnahme oder die Selbstmessung von Blutdruck erinnern werden (16). Dazu braucht es Unterstützungen auf vielen Ebenen und die therapeutische Begleitung durch Arzt und Apotheker. Weil die Unterstützungsmöglichkeiten vieler Chroniker-Apps schon heute weit über die Aufzeichnung von Messwerten und die Erinnerung an die Tabletteneinnahme hinausgehen und sie sich perspektivisch durch die Nutzung von Algorithmen zu lernenden Unterstützungssystemen entwickeln, könnten sie schon bald auch in Disease Management Programmen und strukturierten Patientenschulungen zum Einsatz kommen, um die Versorgungsqualität zu verbessern.

Quellen:

  1. Epidemiologisches Bulletin 5/2015, Robert-Koch-Institut, Berlin https://www.hochdruckliga.de/presse/informationen/bluthochdruck-in-zahlen
  2. DiMatteo, M. R., Variations in patients adherence to medical recommendations: A quantitative review of 50 years of research. Med. Care 42 (2004) 200-209.
  3. Partridge, A. H., et al., Adherence to therapy with oral antineoplastic agents. J. Natl. Cancer Inst. 94 (2002) 652-661.
  4. Gupta S. et al. Clin Lymphoma Myeloma Leuk 2018; 18(3); Assessing the Effect of Adherence on Patient-reported Outcomes and Out of Pocket Costs Among Patients With Multiple Myeloma. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29429817
  5. Schaeffer D, Berens EM, Vogt D: Health Literacy in the German population – results of a representative survey. Dtsch Arztebl Int 2017; 114:53-60. DOI: 10.3238/arztebl.2017.005
  6. Blutdruck-Screening 10/2018. HealthOn Infografik "Blutdruck-Apps: Sinnvolle Bausteine in der Patientenversorgung?"
  7. Ada - Deine Gesundheitshelferin https://play.google.com/store/apps/details?id=com.ada.app&hl=de
  8. Wysa: stress, depression & anxiety therapy chatbot https://play.google.com/store/apps/details?id=bot.touchkin
  9. mySugr: dein intelligentes Diabetes Tagebuch https://play.google.com/store/apps/details?id=com.mysugr.android.companion
  10. BNK CardioCoach https://play.google.com/store/apps/details?id=de.bnk.cardiocoachv2
  11. McManus R et al. (2018). Efficacy of self-monitored blood pressure, with or without telemonitoring, for titration of antihypertensive medication (TASMINH4): an unmasked randomised controlled trial. Lancet Vol. 391, 2018 949
  12. Contreras E. et al. (2018). Specific hypertension smartphone app to improve medication adherence in hypertension: a cluster-randomized trial. Current Medical Research and Opinion, DOI: 10.1080/03007995.2018.1549026
  13. Bash et al. 6/2017. Overall Survival Results of a Trial Assessing Patient-Reported Outcomes for Symptom Monitoring During Routine Cancer Treatment. https://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2630810
  14. Deutsche Hochdruckliga: App-Infos für Ärzte nutzbar machen. Ärzte Zeitung 03.12.2018  https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/herzkreislauf/bluthochdruck/article/977273/deutsche-hochdruckliga-aerzte-sollen-app-infos-blutdruck-arbeiten-koennen.html 
  15. Morawski E. et al. (2018). Association of a Smartphone Application With Medication Adherence and Blood Pressure Control: The MedISAFE-BP Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2018 Jun 1;178(6):802-809. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.0447 
  16. Santo K et al. (2017). Mobile Phone Apps to Improve Medication Adherence: A Systematic Stepwise Process to Identify High-Quality Apps. JMIR Mhealth Uhealth. 2016 Dec 2;4(4):e132.
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Dr. Ursula Kramer - Die Ap(p)othekerin bloggt auf HealthOn

DiGA-Expertin, Autorin, Beraterin

Die Vision eines gerechten, patientenorientierten Gesundheitssystems treibt die Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer an. Digitalisierung sieht sie als Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Seit 2011 testet sie Qualität, Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit von Gesundheits-Apps, Medizin-Apps und Apps auf Rezept (DiGA). Sie will Transparenz schaffen und digitale Gesundheitskompetenz fördern. Sie teilt die Erfahrung aus der Analyse vieler tausender Gesundheits-Apps in der Beratung von Unternehmen, sie schreibt darüber im Blog auf HealthOn, hält Vorträge und erstellt wissenschaftliche Publikationen. Mehr zur Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer...