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Was macht Raucher-Apps "beliebt"? Top-Apps im Fokus

Geschrieben von ursula.kramer am Dienstag, 31. Mai 2016 - 17:49

Alle Jahre wieder zum Weltnichtraucher-Tag am 31. Mai richten Gesundheitsexperten und Public Health Verantwortliche mahnenden Appelle an die noch immer große Zahl von Rauchern. Mit gutem Grund: Rund 110.000 Todesfälle jährlich sind in Deutschland auf Tabakkonsum zurückzuführen. Viele Raucher wollen aufhören, schaffen es aus eigener Kraft nicht. Der Weg aus der Tabaksucht ist steinig, die langfristigen Erfolgsquoten sind niedrig (AWMF 2015). Kann der Griff zu einer Antiraucher-App beim Ausstieg helfen? Was zeichnet eine "beliebte" Raucher-App aus?

Screening der beliebtesten Raucher-Apps Mai 2016

Die Initiative Präventionspartner hat Google Play nach Raucher-Apps durchforstet und die beliebtesten, kostenlosen und deutschsprachigen Angebote identifiziert und analysiert.
Hier die Ergebnisse:

  • Wie viele Raucher-Apps gibt es? Betrachtet man die Apps, die mit den Suchbegriffen (s. Methodik) angezeigt werden und die in die Kategorien Gesundheit & Fitness sowie Medizin gehören und mehr als 1.000 Downloads haben, so umfasst das Angebot insgesamt 27 Apps. Lediglich 6 davon sind deutschsprachig und kostenlos. Der Nutzer erkennt dies erst, wenn er die App tatsächlich herunterlädt. Denn: In den Stores gibt es keine Filter, die die Treffer auf deutschsprachige oder auf kostenlose Angebote eingrenzen. Das macht die Suche für Nutzer sehr mühsam. 
  • Was können die Raucher-Apps?
    • Die Mehrheit der Apps arbeitet quasi als Rechner (63%), mit denen Tabakkonsum und oder die Ausgaben für Zigaretten berechnet und graphisch visualisiert werden (63%), was den Nutzer dazu motivieren soll, standhaft zu bleiben, und das Verlangen nach Zigaretten zu überwinden. Jede vierte Raucher-App (25%) arbeitet dabei zusätzlich mit spielerischen Motivationsanreizen, d. h. Belohnungen in Form von "Pokalen" oder ähnlichem.
    • Diese Daten können bei etwa einem Drittel der Apps als Tagebucheinträge festgehalten (38%) oder als Statusmeldungen mit anderen geteilt (50%) werden. Auf diese Weise soll es leichter werden, die Unterstützung von Gleichgesinnten, Freunden etc. in Anspruch zu nehmen.
    • Die Hälfte aller Apps bietet Informationen zu den gesundheitsschädlichen Folgen des Tabakkonsums (50%), etwa ein Drittel stellt dabei einen direkten Bezug zum Nutzer her (25%), d. h. zeigt die individuellen Folgen für den Nutzer (z. B. Hautalterung, Sauerstoffgehalt etc.)
  • Was wissen wir über die Wirksamkeit dieser Apps? Unter den deutschsprachigen Angeboten gibt es keine App, die ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien unter Beweis gestellt hat, im Gesamtscreening der beliebtesten Raucher-Apps mit mehr als 1.000 Downloads, das ingesamt 27 Apps umfasst, sind unter den englischsprachigen Apps zwei, die in kontrollierten klinischen Studien Erfolgsquoten von 13 % bzw. 8 % erzielt haben. Im Beliebtheitsranking landen diese beiden Apps auf den Plätzen 21 bzw. 16 von 27. Die Beliebtheit errechnet sich aus dem Produkt aus durchschnittlicher Nutzerbewertung (Skala 1 bis 5) und Anzahl der Nutzerbewertungen.
  • Wie viele Nutzer werden erreicht mit diesen Apps? Im Ranking der beliebtesten, deutschsprachigen Raucher-Apps erreicht die beliebteste App zwischen 1 und 5 Millionen Downloads. Damit repräsentiert eine App 76 % der gesamten Downloads der beliebtesten, deutschsprachigen Raucher-Apps. Drei Apps erreichen zwischen 100.000 und 500.000 Downloads. In der Summe erreichen die untersuchten Raucher-Apps mindestens 1.351.200 und maximal 6.606.00 Downloads. Zum Vergleich die Zahl der Raucher in Deutschland:
    • Jeder dritte (29%), der älter ist als 15 Jahre, raucht. Das typische Probieralter für den Tabakkonsum liegt zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr.
    • Der Frauenanteil der Raucher (20,3%) in der Bevölkerung ist etwas niedriger als der Männeranteil (24,5%) (Statistisches Bundesamt 2013).
  • Wie umfassend klären die Raucher-Apps ihre Nutzer über Qualitäts- und Transparenzkriterien auf?
    • Keine der verwendeten Apps macht Angaben zu Quellen der gesundheitsbezogenen Informationen
    • Nur eine der 8 untersuchten deutschsprachigen Raucher-Apps nennt einen Autor. Nutzern ist es damit nicht möglich einzuschätzen, wie fundiert oder aktuell die genannten Zahlen z. B. zur schädlichen Wirkung von Tabak etc. tatsächlich sind, und das obwohl viele der Apps Werte berechnen (63%) und Gesundheitsinformationen vermitteln (50%).
    • Keine der Apps macht Angaben zun Datenschutz, obwohl sich mit vielen Apps nutzerbezogenen Daten in Tagebüchern abspeichern (38%) oder mit Dritten teilen lassen (50%).
    • Bei den meisten untersuchten Apps ist das Finanzierungskonzept offensichtlich (Werbeeinblendungen, In-App-Käufe), bei einem Drittel der App, die werbefrei angeboten werden, bleibt es vollkommen offen, d. h. hier könnte der Nutzer auch mit seinen Daten zur Kasse gebeten werden. Bei etwaigen Verstößen wäre es schwer, Rechte einzufordern, da nur bei einer der untersuchten Apps ein Impressum (13%) aufklärt, wer für die App rechtlich verantwortlich ist.
  • Was charakterisiert die Nummer 1 im Ranking der 27 beliebtesten, kostenlosen deutsch- und englischsprachigen Raucher-Apps?
    • Ein klarer Aufbau, ein ansprechendes Design sowie Unterstützungshilfen, die von Nutzern als hilfreich eingeschätzt werden. Die App motiviert durch Darstellung des Erreichten, informiert in kurzen, verständlichen Informationseinheiten über gesundheitliche Aspekte des Rauchens. Sie bietet Zugang zu einer unterstützenden Community und erreicht über 1 Million Downloads

Fazit:

Deutschsprachige Apps zur Raucherentwöhnung, die einen qualitätsgesicherten Unterstützungsansatz bieten, gibt es derzeit nicht. Dabei sind Anti-Raucher-Apps aus Public Health eine gute neue Option in der digitalen Gesundheitsförderung. Denn:

  • Rauchen hat eine hohe Relevanz, da Tabakkonsum einen Risikofaktor darstellt für zahlreiche Erkrankungen mit hoher Krankheitslast (z. B. Bluthochdruck, Schlaganfall, Ischämische Herzerkrankung, COPD, Krebserkrankungen) (Plass 2014).
  • Aufgrund der weiten Verbreitung von Smartphones in Altersgruppen und sozialen Schichten, in denen die Prävalenz für Tabakkonsum besonders hoch ist, bieten sich sehr gute Möglichkeiten der Zielgruppenerreichbarkeit.
  • Kostenlose Apps können einen niedrigschwelligen Zugang zu Aufklärung und verhaltenstherapeutischer Unterstützung bieten.
  • Aufgrund der technischen Möglichkeiten bieten Apps gute Voraussetzungen, die Methoden zur Selbstbefähigung qualitätsgesichert umzusetzen, um Betroffene mit Hilfeangeboten jederzeit, rundum die Uhr und angepasst an ihre individuelle Bedürfnislage in ihren Lebenswelten zu erreichen.
  • Über die Apps lässt sich der Unterstützungs- bzw. Interventionsgrad situationsangepasst variieren, z. B. durch Einbeziehung von Peergruppen (Betroffene, Freunde) oder einem erweiterten Unterstützungsnetzwerk, das bei Gefahr eines Rückfalls auch qualifizierte Unterstützung durch Therapeuten bieten kann.
  • Eine App zur Raucherentwöhnung kann sinnvoll in andere Versorgungsprogramme eingebunden werden, z. B. Disease-Management Programme für Diabetes und Bluthochdruck, Primärpräventive Gruppenschulungen.

Quellen

  • AWMF (2015). S3-Leitlinie Screening, Diagnose und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/076-006l_S3_Tabak_2015-02.pdf
  • Statistisches Bundesamt (2013). Mikrozensus Fragen zur Gesundheit - Rauchgewohnheiten 2013. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Gesundheitszustand/Rauchgewohnheiten.html
  • Lampert T, Kuntz B (2015). Tabak - Zahlen und Fakten zum Konsum. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2015. Lengerich: Pabst
  • Plass D et al (2014). Trends in disease burden in Germany - results, implications and limitations of the Global Burden of Disease Study. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 629–38
  • Methodik des Top-App Screenings in Public Health relevanten Anwendungsgebieten

Links & Wissenswertes

  • Evidenzlage von Raucher-Apps. Blog Post 2014
  • Datenbank mit Testberichten aller Raucher-Apps, Stand Mai 2016
  • Hinweis für Krankenkassen, Behörden, Universitäten etc.: Individuelle Analysen zur Klärung von Detailfragen erstellen wir gerne auf Ihre Anfrage.

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Dr. Ursula Kramer - Die Ap(p)othekerin bloggt auf HealthOn

DiGA-Expertin, Autorin, Beraterin

Die Vision eines gerechten, patientenorientierten Gesundheitssystems treibt die Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer an. Digitalisierung sieht sie als Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Seit 2011 testet sie Qualität, Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit von Gesundheits-Apps, Medizin-Apps und Apps auf Rezept (DiGA). Sie will Transparenz schaffen und digitale Gesundheitskompetenz fördern. Sie teilt die Erfahrung aus der Analyse vieler tausender Gesundheits-Apps in der Beratung von Unternehmen, sie schreibt darüber im Blog auf HealthOn, hält Vorträge und erstellt wissenschaftliche Publikationen. Mehr zur Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer...