Pflege-Apps: Kaum Schnittstellen zur gesetzlichen Pflegeberatung
Mit Pflege-Apps könnten pflegenden Angehörigen einfacher und schneller zugreifen auf qualitätsgesicherte Informationen über Pflegeansprüche und -leistungen, auf individuelle Pflegeberatung und ein regionales Hilfenetzwerk. Die Voraussetzungen dafür sind günstig
- Frauen um die Fünfzig – die die Hauptpflegelast in den Familien tragen - sind über Smartphones sehr gut erreichbar (1)
- Apps bieten technisch die Möglichkeit, Pflegende in vielfältiger Weise überall und jederzeit zu unterstützen.
- Sie könnten aufklären und Information in leicht verständlicher Form vermitteln z. B.
- Möglichkeiten der Prävention (Sturzprophylaxe, Wohnumfeldberatung) und der frühzeitigen Rehabilitation (z. B. nach Stürzen)
- Entlastungmöglichkeiten insbesondere für erwerbstätige pflegende Angehörige, damit sie Beruf und Pflege besser vereinbaren können.
- Rechtslage, damit Angehörige ihren Rechtsanspruch im Pflegefall kennen (z. B. Verhinderungspflege, Hilfsmittel, Heilmittel) und wissen, wie und wo sie diesen einfordern können
- Begriffserklärungen in einem Pflege-Glossar
- Sie könnten helfen, Pflegekompetenz zu vermitteln, z. B. durch Online-Pflegekurse, die sich nutzen lassen, wann und wo es passt. So könnten sich Angehörige in Sachen häuslicher Krankenpflege selbst Hilfestellungen holen und darüber hinaus besser in der Lage sein, die Erbringung von Leistungen durch ambulante Pflegedienste zu beurteilen, was sich positiv auf die Pflegequalität auswirken könnte.
- Sie könnten den Zugang zu individueller Beratung erleichtern, z. B. aufzeigen, wo es welche Hilfen gibt und wie pflegende Angehörige diese nutzen können
- Austausch in Online-Foren mit anderen pflegenden Angehörigen (Selbsthilfeansatz)
- telefonische Hotline: Vermittlung von Ansprechpartnern und Terminen für eine Pflegeberatung.
- Online-Expertenforum: Fragen stellen an Experten (ortsunabhängig)
- Sie könnten helfen, die Ressourcen Pflegender zu stärken, z. B. durch Vermittlung und Einübung von Entspannungstechniken, die Angehörigen helfen, besser mit ihrer Belastungssituation umzugehen.
- Sie könnten aufklären und Information in leicht verständlicher Form vermitteln z. B.
Status Quo Pflege-Apps: Welche Unterstützungsansätze bieten sie Pflegenden?
Die Initiative Präventionspartner hat alle derzeit verfügbaren deutschsprachigen, kostenlosen Apps analysiert, die Hilfesuchenden bei ihrer Suche in Google Play angezeigt werden. Insgesamt wurden 12 Pflege-Apps identifiziert.
- Vier der untersuchten Pflege-Apps richten sich an Pflegekräfte, sie vermitteln in erster Linie Pflegefachwissen, u. a. auch zum Umgang mit multiresistenten Keimen in der Pflege etc.
- Zwei der 12 Apps werden von Anbietern genutzt, um auf den Bedarf von Pflegezusatzversicherungen hinzuweisen oder Pflegeheime bzw. Pflegedienste zu vermitteln.
- Eine App bezieht sich auf die Pflegesituation in Österreich, so dass sich Informationen zu gesetzlichen Grundlagen und Pflegeleistungen nicht auf Deutschland übertragen lassen.
- Mit zwei Apps lässt sich der Pflegeaufwand in einem Pflegetagebuch. Auch die Hilfe verschiedener Pflegender lässt sich koordinieren, z. B. über Mitteilungen und Pinnwänden, die von allen, an der Pflege einer Person beteiligten, genutzt werden können.
Wir schneiden die Apps in Sachen Qualität und Transparenz der gesundheitsbezogenen Informationen ab?
- Nur jede vierte (25%) Pflege-Apps nennt Quellen, obwohl fast alle Apps (92%) über Pflegethemen informieren.
- Nur eine App (8%) informiert mit einer Datenschutzerklärung, wie die dokumentierten Daten geschützt werden, obwohl sich mit jeder zweiten App (50%) u. a. Pflegeleistungen dokumentieren lassen.
- Keine der Apps informiert mit einem expliziten Hinweis, wie sich die kostenlose App finanziert. In den meisten Fällen (83%) lassen Werbeeinblendungen oder Hinweise auf Sponsoren oder eine kostenpflichtige Pro-Version Rückschlüsse auf die Art der Finanzierung zu.
- Pflegebedarf einschätzen und Leistungsansprüche aus der Pflegeversicherungen berechnen: Nur jede vierte App (25%) gibt Auskunft über die gesetzlichen Grundlagen, Quellen der Informationen.
Wie beliebt sind die untersuchten Pflege-Apps?
- Die Apps erreichen bisher nur wenige pflegende Angehörige, die einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegeberatung haben. Lediglich eine App kann mit über 10.000 Downloads eine relevante Anzahl von Nutzern erreichen. Diese App bietet Informationen zu Leistungen im Pflegefall, zwei Checklisten zur Einschätzung der Alltagskompetenz sowie zur Ermittlung der Pflegestufe.
Fazit:
Bisher nutzen Pflege-Apps kaum die Möglichkeit, das Angebot der Pflegeberatung bekannt zu machen, den Zugang zur Beratung zu erleichtern, das allgemeine Wissen über Pflegeansprüche zu verbessern und die Pflegekompetenz der Angehörigen zu stärken. Regionale Hilfestrukturen könnten mit Hilfe von Pflege-Apps sichtbar gemacht und die Verknüpfungen von Hilfesuchenden und Ehrenamtlichen sowohl virtuell (Online-Foren) als auch real im regionalen Umfeld gefördert werden. In keiner der untersuchten Pflege-Apps wird davon derzeit Gebrauch gemacht.
Pflegesituation in Deutschland: Hintergründe
Pflegende Angehörige zu unterstützen ist eine große gesellschaftliche Herausforderung, die bedingt durch demographische Veränderungen (steigende Lebenserwartung, niedrige Geburtenzahl) in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung zunehmen wird: In Deutschland werden die meisten Pflegebedürften (1,85 Mio., 71%) zuhause von Angehörigen versorgt (2). In der Regel übernehmen in den Familien die Frauen diese Aufgabe. Sie sind häufig erwerbstätig (3, 4). Das Wohnumfeld auf die Pflegesituation anzupassen, Hilfen durch ambulante Pflegedienste zu koordinieren, Pflegeleistungen zu beantragen, dafür sind große persönliche Anstrengungen von Seiten der pflegenden Angehörigen zu leisten.
Seit 2009 gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegeberatung (§ 7a SGB XI). Bundesweit stehen dafür derzeit ca. 400 Pflegestützpunkte zur Verfügung (5). Sie sollen aufklären über die Leistungen der Pflegekassen, sie sollen den Hilfebedarf systematisch erfassen und helfen, einen individuellen Versorgungsplan zu erstellen. Viele Anspruchsberechtigte kennen dieses Angebot nicht, für andere ist der nächstgelegene Beratungsstützpunkt zu weit entfernt, um ihn aufzusuchen.
Weiter zu den Testberichten der 12 untersuchten Pflege-Apps: Healthon Datenbank
Quellen:
- Zukunft der Consumer Electronics 2015. Smartphone-Nutzer nach Alternsklassen. S. 14. Quelle: BITKOM (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 19.10.2022)
- https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Pflege/PflegeKreisvergleich.html;jsessionid=9514E49B5A0D61CF71F472BE6D08E6BD.cae3
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin.
Boll, C.; Hensel-Börner, S.; Hoffmann, M.; Reich, N. (2013):
Wachsender Pflegebedarf in Hamburg – Situation erwerbstätiger Pflegender und Herausforderungen für Hamburger Unternehmen HWWI Policy Paper 78, Hamburg - https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/
- Pflegestützpunkte in Deutschland. Friedrich-Ebert-Stiftung 07/2016 http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12538.pdf